November 22, 2024

Seid untertan der Obrigkeit

Die zentrale Bibelstelle für das Verhältnis von Christen zum Staat ist aus dem Römerbrief, Kapitel 13:  „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, ist sie von Gott angeordnet. Darum: Wer sich der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt Gottes Anordnung; die ihr aber widerstreben, werden ihr Urteil empfangen.
Der auch heute noch nachvollziehbare ursprüngliche Sinn dieser Verse ist, dass jede — noch so schlechte — Regierung für ein gewisses Mindestmaß an Ordnung und Schutz im Zusammenleben der Menschen sorgt, was einem anarchischen Chaos in jedem Falle vorzuziehen ist. Für die Gültigkeit dieses Grundsatzes gibt es vielfältige Beispiele in der Geschichte, zuletzt in Staaten wie Libyen und Syrien beim sog. „arabischen Frühling“.
Diese und die folgenden Verse haben allerdings in vielen Situationen dazu beigetragen, dass Christen sich aus den politischen und gesellschaftlichen Fragen heraushalten, und sich auf das „Private“ zurückziehen, auch in Zeiten wie der jetzigen, wo der Staat seine Grenzen überschreitet und menschliche Grundrechte massiv einschränkt.

Bei der Demonstration in Kassel am 20.3.2021 hat der Querdenker-Anwalt Ralph Ludwig eine beeindruckende spontane Rede über das im Grundgesetz uneingeschränkt gewährte Demonstrationsrecht gehalten, die mir klargemacht hat, was in unserer Zeit, in der Bundesrepublik Deutschland, der Sinn der biblischen Ermahnung ist. Ohne die Rede im Detail wiederzugeben (wenn jemand die Rede aufgenommen hat, möchte ich sie hier gerne als Link hinterlegen), habe ich aus dieser Rede und meinem eigenen im christlichen Glauben gegründeten Verständnis folgende Erkenntnisse gewonnen:

Die maßgebliche „Obrigkeit“ der Bundesrepublik Deutschland ist aus guten Gründen, die mit den schrecklichen Erfahrungen der Naziherrschaft zusammenhängen, nicht eine Person oder eine Gruppe von Personen (z.B. Präsident, Kanzler, Partei oder Parlament), sondern die geschriebene Verfassung, das Grundgesetz. Alle Menschen, die im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland leben, haben aus dieser Verfassung garantierte Rechte ebenso wie die daraus folgenden Pflichten.
Alle Gesetze, die das Zusammenleben regeln, sind ausgerichtet an der Verfassung, und müssen sich an der Verfassung messen lassen.
Sind Regierungshandeln und Gesetze mit der Verfassung konform, sind sie zu befolgen, und werden daher mit ihrer Gültigkeit ebenfalls zur „Obrigkeit“, die von Christen im Sinne der Paulusrede zu respektieren ist.

Daher kann die letzte Instanz in Deutschland niemals eine Anordnung einer Regierung oder gar ein Gesetz sein, das der Verfassung widerspricht. Normalerweise gibt es die Möglichkeit, über Gerichte und insbesondere über das Bundesverfassungsgericht eigenmächtiges Politikerhandeln oder Grundrechts-verletzende Gesetze zu überprüfen und ggf. zu revidieren. Die Väter des Grundgesetzes haben allerdings die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass es eine bösartige Allianz zwischen den 3 sich gegenseitig zu kontrollierenden staatstragenden Instanzen

  • Exekutive (Regierung)
  • Legislative (Parlament, d.h. Bundestag und Bundesrat)
  • Iudikative (Gerichte)

geben kann, die in der Verfassung garantierte Grundrechte außer Kraft setzt. Für diesen Fall, der eigentlich nie eintreten sollte, ist in der Verfassung ausdrücklich das Widerstandsrecht im Artikel 20, Absatz 4 vorgesehen:
„Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist. “

Das Grundgesetz läßt offen, welche Formen des Widerstandes bei welcher Gelegenheit angebracht sind, insbesondere auch die Frage der Gewalt. Die einzige wichtige Einschränkung ist, dass es das allerletzte Mittel sein muß, dass erst alle anderen Möglichkeiten der Abhilfe auszuschöpfen sind.

Entscheidend ist, dass das Recht zum Widerstand allen Deutschen gegeben ist, nicht nur einer besonderen Gruppe wie z.B. dem Militär oder den Abgeordneten. Das schließt insbesondere auch die Christen ein. Daher kann das „der Obrigkeit untertan“ zu sein – in unserem Land mit der gegebenen Verfassung als letztgültiger Obrigkeit – demnach bedeuten, in der Verantwortung vor Gott und der Berufung auf Grundgesetz Artikel 20, 4 Widerstand zu leisten gegen eine Regierung, die dabei ist, massive Grundgesetzverletzungen vorzunehmen, nachdem alle rechtlichen Mittel, bis zum Verfassungsgericht, ausgeschöpft sind:

  • Verletzung der Versammlungsfreiheit durch Verbote von regierungskritischen Demonstrationen
  • Verletzung der Berufsfreiheit durch willkürlichen Geschäftsschließungen
  • Verletzung der Menschenwürde durch erzwungenes Maskentragen
  • Verletzung der körperlichen Unversehrtheit durch einen Quasi-Impfzwang

Dass die Gerichte und insbesondere das Bundesverfassungsgericht ihrer Aufgabe der sorgfältigen Kontrolle des Regierungshandelns nicht mehr nachkommen, wird dadurch bewiesen, dass beispielsweise bei der Bestätigung der Demonstrationsverbote sich die Verfassungsrichter nicht die Mühe machten, auf die inhaltlichen Einwände der Kläger einzugehen, ebenso bei der Ablehnung der Verfassungsbeschwerde gegen das vierte Infektionsschutzgesetz.

Jeder der einwendet, dass diese Interpretation eine Überdehnung der paulinischen Ermahnung im Römerbrief sei, sei erinnert daran, dass Paulus selbst vor den „zuständigen“ Machthabern und dem „Konsens“ der etablierten religiösen Mehrheit nicht eingeknickt ist, sondern sich dadurch widersetzt hat, indem er sich als römischer Bürger auf das „verfassungsmäßige“ römische Recht und die höchsten möglichen Instanzen des Römischen Reiches berufen hat, den Kaiser und das oberste Gericht in Rom (Apostelgeschichte 25, 1-12). Im Rückblick ist es nicht übertrieben zu sagen, dass dieser Akt des Widerstands seine Reise nach Rom (auf Staatskosten) und damit die Ausbreitung des Evangeliums in das Machtzentrum der damaligen Welt ermöglicht haben.


Und bereits im Alten Testament (Jesaja 60,17) wird die Obrigkeit nicht als die Machthabenden verstanden, sondern als die – bisweilen im Konflikt zueinander stehenden – komplementären Menschheitsziele Frieden und Gerechtigkeit:
„Ich setze den Frieden als Aufsicht über dich ein und die Gerechtigkeit als deine Obrigkeit.“
Ob die Väter des Grundgesetzes von genau dieser am Reich Gottes orientierten Vorstellung eines guten Zusammenlebens erfüllt waren, als die das Grundgesetz über alle anderen staatlichen Institutionen stellten? Der Beginn der Präambel – „Im Bewußtsein seiner Verantwortung vor Gott….“ spricht dafür.